Gibt es Fälle in den das Pferd ohne Grund den Reiter ignoriert oder schlimmer noch- abwehrt? Seit letzter Woche beschäftigt mich ein Thema, das mich schon mein ganzes Reiterleben begleitet: Welche Ursachen gibt es, wenn ein Pferd partout nicht kooperieren will?
Warum ich mich das frage? Das Pferd meiner besten Freundin Jenny ist ein solches “Null-Bock-Modell”: Sternchen ist ein Tinker-Mix. Sternchen kam zu Jenny nachdem er in seiner “Ausbildung” schon eine Menge mitgemacht hatte: Aus Erzählungen weiß ich, dass er in dieser Zeit mehrere Longen mit Trense im Maul zerrissen haben soll, er besonders tief eingestellt geritten und das Maul mit dem Sperriemen zugeschnürt wurde. Aus dem Umgang mit ihm weiß ich, dass er meist entweder gar nicht laufen möchte, so abschaltet, dass man das Gefühl hat, er hat gedanklich die Reitbahn verlassen oder dass er völlig ausrastet, bockt und sich wie ein wilder Mustang aufführt. Im Falle eines Abwurfes tritt er auch nach- eine ganz fiese Eigenschaft, die sehr gefährlich für den Reiter sein kann.
Jenny hat schon etliche Stürze hinter sich und war immer wieder frustriert, weil Sternchen einfach nicht bereit war mitzuarbeiten. Schon als ich Sternchen kennenlernte, vermutete ich, er könnte Schmerzen haben. Etliche Hufschmiede, Ostheopaten, Physiotherapeuten und Tierärzte später muss ich zu meiner Schande zugeben, dass auch ich schon anfing zu glauben, Sternchen habe einfach einen schwierigen Charakter.
Zunächst versuchten wir es gebisslos. Das klappte schon besser, trotzdem blieb das Genick und damit auch der Rücken von Sternchen häufig fest und den Unwillen vorwärts zu gehen, behob das auch nicht. Sternchens Zungenfehler konnte ich reiterlich mit viel Geduld und Gefühl optisch beheben, der Wallach blieb dennoch angespannt und seine Unart vor allem wenn ich ihn in die Dehnungshaltung entlassen wollte, plötzlich auszurasten und loszubocken, blieb ein großes Problem.
Ich entschloss mich also, zuerst am Boden mit ihm zu arbeiten. Hier riss er mir allerdings auch die Longe (mit Kappzaum) aus den Händen und weigerte sich auf Hilfen zu reagieren. Klassische Arbeit an der Hand- ein utopisches Fernziel.
Also noch ein paar Schritte zurück: Basics des Horsemanship. Wir übten im Stehen, im Schritt. Kleine Fortschritte im Vertrauen gab es, jedoch verweigerte sich Sternchen weiterhin vehement gegen das Vorwärts und gegen jegliche Reaktion auf Körpersprache.
Letzten Freitag war mein Hufschmied Olaf Optenplatz im Stall und Jenny ließ Sternchen dieses Mal auch von ihm begutachten und bearbeiten. Was dabei herauskam, machte Jenny und mich sprachlos und ist der Grund für diesen Post: Olaf stellte fest, dass Sternchens Kornrand links vorne völlig schief war.
“Reitet ihr den?” fragte er uns? Glücklicherweise konnten wir das nachdem wir vor sechs Monaten beschlossen hatten, dass Sternchen erst mal am Boden ein zuverlässiger Partner werden sollte, bevor wir uns wieder auf ihn drauf setzen, verneinen.
“Wenn der das so lange ausgehalten hat, dann ist das ein ganz schön harter Hund”, erklärte Olaf weiter. Die schiefe Hufstellung führte dazu, dass Sternchens Huf massiv gequetscht wurde. Das verursacht enorme Schmerzen und Schulterverspannungen. Wenn er also in die Dehnungshaltung geschickt wurde, hatte er vermutlich stechende Schmerzen, die wiederum zum Bocken führten. Mir wurde fast schlecht bei der Vorstellung, was Sternchen da durchgemacht hatte und vor allem, dass keiner der vorherigen Hufschmiede und auch Tierärzte das gesehen hat.
Hätten wir das nicht auch sehen können und müssen? Uns war schon aufgefallen, dass Sternchen häufig komisch stand. Deswegen haben wir ja jetzt auch Olaf gebeten, sich Sternchens Hufe anzusehen. Ein Experte ist aber eben ein Experte, weil er den Blick für solche Dinge entwickelt hat. Von den Tierärzten und Hufschmieden die das nicht erkannt haben, müsste man aber eigentlich erwarten können, dass sie einen Pferdebesitzer mit einem Pferd, das offensichtlich Probleme hat, zumindestens an einen entsprechenden Experten verweisen.
Nach dieser Geschichte bin ich einmal mehr überzeugt: Widersätzlichkeiten beim Pferd sind so gut wie NIE Charakterschwächen, sondern in den meisten Fällen gibt es eine körperliche oder psychische Ursache dafür. Es ist unsere Aufgabe als verantwortungsbewusste Reiter und Pferdebesitzer diese zu finden und zu beheben. “Darüber wegreiten” oder fadenscheinige Theorien vom dominanten “Arschlochpferd”, das vernünftig “erzogen” werden muss, sind die denkbar schlechtesten Ansätze damit umzugehen.
Fazit: Wenn Dein Pferd komisch ist oder sich nicht kooperativ verhält, gibt es dafür wahrscheinlich eine Ursache, die es davon abhält, Dir zu zeigen, wie viel es für Dich tun würde, wenn es nur könnte. Es ist allein unsere Aufgabe und unsere Verantwortung unserem Pferd die Möglichkeit zu geben uns zu zeigen, was es kann! Wenn ihr ein Pferd habt, das wie Sternchen nicht kooperiert, bestraft es nicht dafür sondern sucht die Ursache. Es wird Euch danach für ewig dankbar sein!
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